Der Projektverbund

Das Projekte-Sammelsurium

193 Hausprojekte und 30 Projektinitiativen bilden einen festen Verbund. Das Bindeglied, das diesen Verbund herstellt, heißt Mietshäuser Syndikat. Jedes dieser bestehenden Hausprojekte ist autonom, d. h. rechtlich selbstständig mit einem eigenen Unternehmen, das die Immobilie besitzt. Jedes hat die Rechtsform der GmbH, der „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“.
Und es werden mehr. Das Mietshäuser Syndikat ist generell offen für neue, selbstorganisierte Hausprojekte; so auch für die vorher genannten 21 Projektinitiativen, die sich „ihr Haus“ erst noch aneignen wollen. Die Folge ist, dass der Verbund fröhlich weiter wächst.

Wie funktioniert das Mietshäuser Syndikat? Was ist der Zweck? Kritisch gefragt: Was ist daran sinnvoll, eine feste Verbindung zwischen einer großen und wachsenden Zahl von autonomen Hausprojekten herzustellen? Zwischen Projekten, die zum Teil Hunderte von Kilometern auseinander liegen. Deren Bewohner*innen die Leute aus den anderen Häusern oft nicht kennen. Und deren Unterschiedlichkeiten geradezu ins Auge springen, von der Größe und Lage über die Entstehungsgeschichte bis hin zur politischen und sozialen Zielsetzung. Welche Idee hält diesen Gemischtwarenladen von Projektidentitäten zusammen? Und nicht zuletzt stellt sich die Frage: Warum liegt der Eigentumstitel jedes Hauses ausgerechnet in den Händen einer erzkapitalistischen Rechtsform wie der GmbH, und nicht bei einem eingetragenen Verein oder einer Genossenschaft?

Häuser kollektiv aneignen

Trotz der Unterschiedlichkeiten findet sich bei allen Hausprojekten eine vergleichbare Ausgangssituation:

  • Hier nimmt eine Gruppe tatendurstiger Menschen leere Häuser ins Visier: Sie wollen endlich zusammen wohnen. Sie suchen ausreichenden und vor allem selbstbestimmten Wohnraum – häufig auch in Kombination mit öffentlichen Räumen für Veranstaltungen, für Gruppen, Projekte und Betriebe.
  • Da fügen sich die langjährigen Bewohner*innen eines Hauses nicht resigniert den Verkaufsplänen des Hausbesitzers, sondern entwickeln eine Vision: Die Übernahme „ihres Hauses“ in Selbstorganisation.
  • Dort suchen die Besetzer*innen eines sogenannten Abrissobjektes nach einer Perspektive, trotz der Wechselbäder von Räumungsdrohungen und Verhandlungen.

Allen gemeinsam ist der kollektive Wunsch nach einem Haus, in dem es sich selbstbestimmt leben lässt, dem nicht irgendwann die Zwangsräumung oder Abrissbirne winkt; mit bezahlbaren Räumen, die nicht durch Hausverkauf oder Umnutzung latent bedroht sind. Dieser Wunsch steht am Anfang eines jeden Projekts.

Wie wir wissen, werden Mietshäuser, die eine dauerhafte kollektive Selbstbestimmung der Bewohner*innen über die eigenen vier Wände vorsehen, auf dem normalen Immobilienmarkt nicht angeboten. Also fasst die betreffende Gruppe irgendwann den kühnen Plan, einen Hausverein zu gründen, um das Objekt der Begierde einfach zu kaufen.

Die Kapitalfrage

Meist geht der starke Wunsch der Projektinitiative nach einem selbstorganisierten Hausprojekt mit einer äußerst schwachen Kapitalausstattung der Mitglieder einher. In Anbetracht der erforderlichen Mittel hat sie allenfalls symbolischen Charakter. Denn für den Erwerb der Immobilie muss der Hausverein Hunderttausende von Euros leihen: mit Krediten von der Bank und/oder direkt von Menschen, die das Projekt unterstützenswert finden und dort ihre Ersparnisse parken („Direktkredite“; darauf wird noch eingegangen). Das ist keine einfache Aufgabe. Denn Kredite kosten laufend Geld, nämlich Zinsen und Tilgung. Sie betragen oft mehr als 3/4 der Mietzahlungen. Soll die Miethöhe sozial noch erträglich sein, ist der Spielraum äußerst knapp und das Projekt nur bei sehr niedrigen Kreditzinsen finanzierbar.

Die Anfangsphase, in der die Zinskosten am höchsten sind, gleicht bei jedem Hausprojekt einem ökonomischen Drahtseilakt. Dazu gesellen sich erlebnispädagogische Streifzüge der Gruppe in die fremde Welt der Kaufverhandlungen und der politischen Durchsetzung, der Rechtsformsuche und der Kreditwerbung, der Gruppenfindungsdynamik und nicht zuletzt der Bauaktivitäten. Auf dem Weg zum eigenen Haus muss jede Projektinitiative einen wahren Hindernisparcours durchlaufen. Das könnte einfacher sein.

Der Blick über den Gartenzaun

Richten wir den Blick über die Grundstücksgrenze des einzelnen Hausprojekts und beziehen wir andere Hausprojekte in die Überlegungen mit ein. Es ist zwar richtig, dass alle Projekte in ihrer Anfangsphase in einer ähnlich schwierigen Situation sind. Aber Jahre später sieht die Lage in der Regel anders aus.

Da bei einer größeren Anzahl von Projekten nicht alle gleichzeitig in der schwierigen Anfangsphase sind, drängt die Gegenüberstellung die Überlegung auf, einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Situationen verschiedener Hausprojekte zu schaffen.

Den Ausgleich organisieren

Etablierte Altprojekte sollen neue Projektinitiativen beraten und ihr Know-how zur Verfügung stellen. Man muss das Rad nicht jedes Mal neu erfinden. Und sie können in politischen Auseinandersetzungen bei umkämpften Immobilien öffentliche Unterstützung leisten.
Vor allem sollen die Altprojekte Überschüsse zu Gunsten neuer Projektinitiativen transferieren, statt ihre wirtschaftlichen Spielräume durch regelmäßiges Aufpeppen des Wohnstandards und/oder Mietsenkungen für sich zu verbrauchen. Denn durch die allmähliche Tilgung der Kredite ist die Zinslast bei Altprojekten erheblich niedriger und sinkt von Jahr zu Jahr immer stärker. Umgekehrt kann der Kontakt mit Projektinitiativen und ihrer Dynamik, die indirekte Teilhabe an aktuellen politischen Auseinandersetzungen um ein neues Hausprojekt wieder Bewegung in das stehende Gewässer mancher Altprojekte bringen.

Ein solcher Ausgleich zwischen autonomen Hausprojekten geht aber nicht von selbst über die Bühne, sondern will organisiert sein: Voraussetzung dafür ist eine dauerhafte Verknüpfung zwischen den Projekten, die den Transfer der Ressourcen und die dafür erforderliche Kommunikation möglich macht. Die Organisation eines solchen Solidarzusammenhangs ist die Idee des Mietshäuser Syndikats. Sie wurde erstmalig 1989 beim Freiburger Grether Projekt formuliert. Das Vereinsstatut des Syndikats von 1992 benennt als Ziel, „die Entstehung neuer selbstorganisierter Hausprojekte zu unterstützen und politisch durchzusetzen: Menschenwürdiger Wohnraum, das Dach überm Kopf für alle.“