Internationale Projekte

In den letzten Jahren wächst europaweit das Interesse am Syndikatsmodell und es entwickeln sich auch unabhängig davon Bewegungen um selbstorganisiert und solidarisch das kapitalistische Eigentum ins Visier zu nehmen. Ausgehend von der AG International des Syndikats formierten sich 2017 Aktivist*innen aus unter anderem Frankreich, Deutschland, Österreich, Tschechien, Niederlande, Ungarn und Spanien mit dem Ziel durch jährliche Treffen den internationalen Austausch zu stärken und gründeten 2018 das Commoning Spaces Netzwerk. Mit der MOBA Genoss*innenschaft hat sich außerdem eine Dachorganisation speziell für den osteuropäischen Raum gegründet. Gemeinsam wollen wir die rechtlichen und finanziellen Barrieren überwinden und der Solidarität über die Nationalgrenzen hinweghelfen. Mit den hier vorgestellten Modellen verweisen wir exemplarisch auf einige der solidarischen Projekte aus der europäischen Nachbarschaft.

Internationale Anfragen: aginternational@syndikat.org


Niederlande

Der niederländische Wohnungsmarkt steht unter Druck. Obwohl in den Städten lange Wartelisten für Sozialwohnungen bestehen, werden diese oftmals verkauft oder abgerissen. Auf dem Land gibt es kaum Möglichkeiten, ein Haus zu mieten. Mit dem Wohnraumgesetz, das im Juli 2015 in Kraft trat, wurde ein Konzept eingeführt, was den Bewohner*innen von Sozialwohnungen die Möglichkeit bot, ihre Wohnungen gemeinsam zu übernehmen. Engagierte Menschen begannen  mit rechtlichen und steuerlichen Recherchen, um das MHS-Konzept auf die niederländische Situation zu übertragen. Das Ergebnis war im Januar 2017 die  Gründung des Vereins VrijCoop. Ein Jahr später wurde mit dem Ecodorp Boekel das erste Projekt aufgenommen. Dort entsteht ein kreisförmiger ökologisch geplanter Gebäudekomplex mit 30 Wohnungen, Werkstätten, Büros, sowie eigener Energie- und Trinkwasserversorgung. Weitere Mitglieder der VrijCoop sind in und um Amsterdam herum das Bajesdorp und De Groene Gemeenschap. Dazu gehört ebenfalls der Rijkshemelvaartdienst, ein Verein, der sich seit 1989 der Freiheit für Leben, Kunst und Kultur verschrieben hat. Darüber hinaus gehören mit Meer Dan Wonen ein Familienprojekt in der Region Utrecht und mit Stad in de Maak eine Gruppe dazu, die temporäre Wohngebäude – für Zeiträume von 3 bis 10 Jahren – in Rotterdam vergeben und verwalten.


Spanien

In Spanien sind selbstverwaltete genossenschaftliche Wohnprojekte relatives Neuland, vor allem wenn es um dezentrale, jedoch vernetzte und selbstverwaltete Strukturen geht. Es bestehen jedoch inzwischen viele Initiativen und einige realisierte Projekte in denen interessierte Gruppen Unterstützung erhalten, vor allem von der Stiftung „La Dinamo“ und der Dach-Genossenschaft „Sostre Civic“ sowie dem Verband der Kooperativen für Solidarwirtschaft (XES).

Zwei selbstverwaltete Projekte (mit Kontakt zum Mietshäuser Syndikat) in Barcelona sind La Borda und Sotrac. Der Neubau von La Borda wurde 2017 bezogen: ein Mehrgenerationenhaus auf einem alten Fabrikgelände mit Wohnraum für 55 Personen und Gemeinschaftsräumen. Die Gruppe Sotrac gründete sich 2017, besteht derzeit aus 45 Erwachsenen und 8 Kindern. Sie erhielt 2020 den Zuschlag für ein Grundstück (Erbpacht) auf demselben Fabrikgelände wie La Borda. Baubeginn 2021. Auf 600 m² Grundfläche entsteht Wohnraum für über 70 Menschen mit einem gemeinschaftlich und gewerblich genutzten Erdgeschoss. Ziel ist das gemeinsame Wohnen, Arbeiten und die Vernetzung mit dem Stadtteil mittels sozialer und politischer Aktivitäten. Gegen die maßlose Wohnungsspekulation soll ein funktionierendes, lebendiges Wohnprojekt einen konstruktiven Weg für Alle aufzeigen. Beide Projekte streben eine vernetzte Solidarstruktur mit weiteren Projekten an.

  • La Dinamo | Stiftung ähnlich der Syndikatstiftung
  • La Borda | Hausprojekt in Barcelona
  • Sotrac | Hausprojekt in Barcelona

Österreich

Mit dem habiTAT wurden 2014 die Strukturen des Mietshäuser Syndikats in den österreichischen Rechtsraum übertragen. Das bewährte Geflecht des Syndikats wurde mit dem habiTAT-Dachverein, den Hausvereinen und Hausbesitz GmbHs nachgebildet. Zur Entscheidungsfindung verwendet das habiTAT ein an die Soziokratie angelehntes Delegiertensystem. Der Solidarbeitrag wird in Österreich mit einem Sockelbetrag von 0,10 €/m² berechnet und ist fix für alle Projekte, plus inflationsangepasster jährlicher Steigerung.

In der Linzer Altstadt wurde 2015 das erste Haus im habiTAT gekauft: im „Willy*Fred“ sind neben den Wohneinheiten in den Gewerberäumen „das.kollektiv“ (kritische Bildungs-, Beratungs- und Kulturarbeit von und für Migrant*innen), „FIFTITU%“ (Vernetzungsstelle für Frauen in Kunst und Kultur), „VIMÖ“ (Verein Intergeschlechtlicher Menschen Österreich), der Kulturverein „Fredda“ und ein „KostNixLaden“ aktiv.

Zeitnah gründete sich in Wien die Gruppe „SchloR“, welche im Stadtteil Simmering auf ein Gewerbegebiet stieß, das sie 2019 kaufte. Neben dem Wohnprojekt gibt es den CreativeCluster Rappachgasse (CRAP) und das Trainingszentrum Rappachgasse (TRAP). In Wien kam mit dem „Bikes and Rails“ ein Neubauprojekt in Holzriegelbau-Passivhaus im Sonnwendviertel-Ost dazu. Zu den 18 Wohnungen gehören eine Werkstatt, Proberäume, Gemeinschaftsterrasse und -küche, Gästewohnung und Veranstaltungsraum.

Das kleinste Projekt mit 11 Personen und einem Vereinslokal wurde 2017 gekauft und ist die Salzburger „Autonome Wohnfabrik“. Die „Brennnessel“ in Innsbruck und „Jelka“ in Linz sind weitere aktive Mitglieder des habiTAT. Des Weiteren befindet sich der „3hof“ Leonding, mit Kulturverein, Wagenplatz und Landwirtschaft in der Annäherungsphase, um Teil des österreichischen Mietshäuser Syndikats zu werden.

  • habiTAT | Dachverband Österreich · Verein zur Förderung selbstverwalteter & solidarischer Lebens- und Wohnformen
  • Willy*Fred | Hausprojekt in Linz

Frankreich

Der Dachverein Le CLIP als französisches Pendant zum Mietshäuser Syndikat hat sich 2010 gegründet. Die Projekte sind als Vereine organisiert und finanzieren sich bislang ausschließlich über Direktkredite. Inzwischen gibt es in Frankreich sechs Projekte und diverse Initiativen:

  • La Déviation | Haus- und Kulturprojekt in Marseille mit 14–18 Bewohner:innen und Ateliers und Räumlichkeiten für Künstler:innen (Start 2015, 2019 gekauft)
  • Les Hautes Planches, ehemalige Mühle in Bretoncelles südwestlich von Paris mit zahlreichen Vereinen, einer autonomen Druckerei und aktuell ca. 6 Bewohner:innen
  • Le Porcheritz (2014)
  • Manifesten, autonomes Kulturzentrum mit Cafe und Buchhandlung in Marseille. Manifesten konnte 2021 dank breiter lokaler Unterstützung im Kampf gegen Gentrifizierung gekauft werden.
  • Kerlano, Wohnprojekt in der Bretagne (2022)
  • Les Agités du local, Wohnprojekt und Bauernhof in der Dordogne (2022)

Des Weiteren sind wir im Austausch mit Antidote, einer stiftungsähnlichen Organisation im Südwesten Frankreichs, die seit 2018 besteht. Antidote umfasst inzwischen drei Projekte.


Osteuropa

Tschechien

Wohnen in Tschechien wird seit Jahren immer teurer, wogegen Löhne kaum steigen und es Sozialwohnungen nur in wenigen Kommunen gibt. Ähnlich sieht es auch bei den Gewerbeflächen aus: linke politische und kulturelle Räume können sich auf dem angespannten Immobilienmarkt meist nicht über längere Zeit halten. Aus diesen Gründen hat sich 2015 sdilené domy („gemeinsame Häuser“) (sdilenedomy.cz) zusammengefunden und das Mietshäuser-Syndikats-Prinzip in das tschechische Rechtssystem übertragen. Zum Jahreswechsel 2021/2022 konnte dann endlich das erste Haus in der Hauptstadt Prag gekauft werden. Im Frühjahr 2022 wurde das zweite Haus, diesmal in Děčín nahe der deutsch-tschechischen Grenze, dem Markt entzogen.

Sdilené domy sind Teil der MOBA Genoss*innenschaft.